Nahrungsergänzungen im Ayurveda

Manche nennen sie Kräuterpillen, andere Gewürzpulver, Heilschnaps oder Medikamente. Ganz gleich, welchen Namen wir ayurvedischen Produkten auch zuordnen möchten, eines steht fest: kein Gesundheitssystem weltweit weist eine dem Ayurveda vergleichbare Vielfalt an pflanzlichen Produkten und Rezepturen auf.

Die Lehre hinter diesen Produkten heißt „Dravyagunavijnana“, was übersetzt die „Wissenschaft von Substanzen und ihren Eigenschaften“ bedeutet. Grundlage dieser Wissenschaft ist eine einzigartige Klassifikation von Lebensmitteln, Heilpflanzen und mineralischen Produkten in sechs Kategorien, auf deren Basis die Auswahl erfolgt.

Im Laufe der vergangenen 2.500 Jahre entwickelten sich in Indien und Sri Lanka Tausende an Rezepturen zur gesundheitlichen Stärkung, körperlichen Reinigung und Linderung von Beschwerden. Einige von ihnen sind seit gut drei Jahrzehnten als Lebensmittel und Nahrungsergänzungen auch im europäischen Verkehr und erfreuen sich zunehmender Beliebtheit.

Ayurveda Produkte in Indien und Europa – der rechtliche Status

Ayurveda ist die traditionelle Medizin Indiens. Folglich werden Ayurveda Produkte im Ursprungsland weitgehend als pflanzliche oder mineralische Arzneimittel registriert.

In Europa hingegen stellt der Ayurveda vorrangig eine Gesundheitslehre zur Prävention und Lebensstiländerung dar und wird zudem von Heilberuflern als Komplementärmedizin angewandt. Ayurveda Produkte werden rechtlich in Europa als Lebensmittel oder Nahrungsergänzungen eingestuft und unterliegen den entsprechenden Gesetzgebungen.

Gesundheitsbezogene Angaben auf Lebensmitteln sind grundsätzlich verboten, es sei denn, sie sind von der Europäischen Kommission als „Health Claim“ zugelassen. Derartige Angaben gibt es zu Vitaminen und Mineralien, jedoch nicht zu ayurvedischen Heilpflanzen.

Aus diesem Grund dürfen Ayurveda Produkte in Europa keine „Beipackzettel“ wie Arzneimittel enthalten oder Indikationen auf Etiketten vermitteln. Die Anwendung erfolgt ausschließlich gemäß ayurvedischen Prinzipien wie den fünf Elementen, den „Tridosha“ Vata-Pitta-Kapha mit ihren Unterarten, „Agni“ (Körperfeuer) oder „Dhatu“ (Gewebe).

Manchen Therapeuten, die für ihre Klienten gesundheitliche Wirkungen durch den Einsatz ayurvedischer Produkte erzielen wollen, erscheint dies – verständlicherweise – oft lästig und irritierend, bestehen zu vielen einzelnen Heilpflanzen doch Tausende an wissenschaftlichen Studien, die im Internet einsehbar sind.

Die rechtlichen Einschränkungen seitens der Gesetzgeber bieten aber auch Vorteile. Das typisch westliche Denken, Mittel X wirkt gegen Krankheit Y, ist dem Ayurveda zutiefst fremd. Ohne fundierte ayurvedische Diagnostik lassen sich pflanzliche Produkte nur symptomatisch, aber nicht ganzheitlich einsetzen. Von einer „Selbstmedikation“ zur Behandlung von Erkrankungen rät der Ayurveda dringend ab. Vielmehr steht die Stärkung unserer Gesundheit, Anpassungsfähigkeit und Körperabwehr im Vordergrund.

Geschmack, Eigenschaften & Co. | Die ayurvedische Klassifikation

Alle Substanzen werden im Ayurveda anhand folgender sechs Kriterien klassifiziert:

RASA – der Geschmack

Es werden die sechs Geschmacksrichtungen süß, sauer, salzig, scharf, bitter und herb unterschieden. Viele Substanzen weisen zwei bis drei Geschmäcker auf. Jeder Geschmack hat spezifische Auswirkungen auf die fünf Elemente, die drei Dosha, unsere Gewebe, die Ausscheidungsfunktionen und die Zirkulation in unserem Körper.

GUNA – die Eigenschaften

Hier werden im Ayurveda zwanzig Eigenschaften in zehn Gegensatzpaaren beschrieben – die wichtigsten unter ihnen sind heiß-kalt, leicht-schwer, trocken-feucht und träge-spitz. Wir sollten vor allem Substanzen mit den Eigenschaften verzehren, die in unserem Körper in Mangel geraten sind – zum Beispiel scharfe Gewürze bei Kälte.

VIPAKA – Wirkung nach der Verdauung

Nachdem Substanzen im Magen und oberen Dünndarm aufgespaltet und im mittleren Dünndarm resorbiert wurden, können sie drei Wirkkräfte entfalten: die süße Kraft nährt und erhöht Kapha, die saure Kraft regt die Ausscheidung an und erhöht Pitta, die scharfe Kraft wirkt trocknend, leicht und erhöht Vata.

VIRYA – Potenz

Virya ist die Kraft dominanter Eigenschaften (Guna), durch die eine Substanz wirkt. Nach der alten Generalisierung sind die beiden Hauptkräfte heiß und kalt. Heiß wärmt und regt die Zirkulation an, fördert Verdauung und Stoffwechsel und wirkt katabol (Gewebe reduzierend). Kalt kühlt und adstingiert, verlangsamt und wirkt anabol (Gewebe aufbauend).

PRABHAVA – Spezifität

Manche Heilpflanzen wirken außerordentlich stark auf eine Funktion oder Struktur unseres Körpers – diese Spezifität wurde im Ayurveda Prabhava genannt und zu den jeweilgen Substanzen deklariert.

KARMA – Gesamtwirkung

Karma beschreibt die Antwort aller Strukturen und Funktionen auf eine Substanz. Westlich betrachtet lässt sich daraus eine Indikationsliste ableiten.

Der ausgebildete Ayurveda Phytotherapeut diagnostiziert zunächst den Zustand seiner Klienten und erstellt dann eine individuelle Rezeptur zum Ausgleich der in Unordnung geratenen Elemente.

Viele Früchte, Gewürzpflanzen, Blätter und Wurzeln lassen sich präventiv auch in Eigenregie anwenden – hier ein paar Beispiele:

  • Ashwagandha (Withania somnifera) senkt erhöhtes Vata, wirkt energetisierend bei Erschöpfung, baut unser Muskelgewebe auf und fördert eine gesunde Schlafarchitektur.
  • Brahmi (Bacopa monnieri) wird als Nerventonikum zur Steigerung der Aufnahme und Konzentration und zum Ausgleich der Gemütslage eingesetzt.
  • Guduchi (Tinospora cordifolia) stärkt Ojas und das Immunsystem, schützt unsere Leber, reinigt das Blut und die Körpersäfte und fördert unsere Hautgesundheit.
  • Haridra (Curcuma longa) zählt zu den meist erforschten Heilpflanzen unseres Planeten. Sie finden online unzählige Indikationen, das gelbe Gold ist ein wahrer Tausendsassa.
  • Pippali (Piper longum) ist weit mehr als nur ein Pfeffer: er reduziert Kapha (Schleim) und befreit die Atemwege, regt das Verdauungsfeuer (Agni) an und verbrennt Rückstände aus unzureichender Verdauung (Ama).
  • Triphala (Dreifruchtmischung) zählt zu den berühmtesten Ayurveda Rezepturen und gilt als eine regenerativ wirkende Mischung (Rasayana) für gesunde Augen, Haut und Haare sowie eine beschwerdefreie Verdauung.
  • Trikatu (die drei Scharfen) besteht aus Ingwer, langem und schwarzem Pfeffer und gilt als wichtiger „Agni Booster“, senkt Kapha, hilft beim Abnehmen und Entschleimen.

Die wichtigsten Zubereitungen ayurvedischer Rezepturen sind Pulvermischungen (Churna), Tabletten (Vati), Teeaufgüsse (Phanta), Abkochungen (Kvatha), süße Konfekte (Avaleha), fettige Zubereitungen mit Pflanzenölen oder Ghee (Taila und Ghrta) sowie alkoholhaltige Elixiere (Asava und Arishta).

Viele klassische Rezepturen sind über 2.000 Jahre alt und wirken auch heute noch unverändert kraftvoll. Das Wissen (Veda) von Ayurveda ist eben zeitlos und ortsunabhängig gültig. Moderne individuelle Rezepturen ergänzen das klassische Portfolio, um allen Bedürfnissen der heutigen Zeit gerecht zu werden.

Lassen Sie sich am besten einmal durch einen erfahrenen Ayurveda Therapeuten untersuchen und Ihre Konstitution tiefgründig analysieren. Mit diesem Wissen können Sie einige Nahrungsergänzungen verantwortungsvoll auswählen. In Workshops und Seminaren können Sie Ihre Kenntnisse vertiefen und immer mehr Selbstverantwortung für Ihre Gesundheit übernehmen.

Sekundäre Pflanzenstoffe | Die westliche Sicht

Wie lässt sich die Wirkung ayurvedischer Gewürze, Früchte und Heilpflanzen modern-wissenschaftlich erklären? Hierzu lohnt sich ein kurzer Blick auf den Pflanzenstoffwechsel.

Der Primär- oder Grundstoffwechsel von Pflanzen sorgt für den Aufbau und Abbau von Molekülen (Aminosäuren, Lipide, Kohlenhydrate), die für das Wachstum, die Entwicklung und Reproduktion erforderlich sind.

Im Sekundärstoffwechsel werden viele Verbindungen produziert, die als sekundäre Pflanzenstoffe bezeichnet werden. Sie bestehen aus bis zu 100.000 Substanzen, die von Pflanzen als Farbstoffe, Wachstumsregulatoren, Abwehrstoffe gegen Schädlinge und Krankheiten sowie Aroma- und Duftstoffe gebildet werden.

Wichtige Gruppen sind Karotinoide, Phytosterine, Saponine, Glucosinolate, Polyphenole, Protease-Inhibitoren, Terpene, Phytoöstrogene und Sulfide. Sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe sind zwar nicht „essentiell“, haben jedoch eine den Vitaminen vergleichbare ernährungsphysiologische Bedeutung und werden daher sinngemäß als PHYTAMINE bezeichnet.

Für uns Menschen sind viele dieser Phytamine gesundheitlich von großem Nutzen:

  • Sie weisen ausgeprägte Radikalfängereigenschaften auf. Freie Radikale sind an der Entwicklung zahlreicher chronischer Erkrankungen sowie dem Alterungsprozess beteiligt.
  • Sie hemmen Entzündungen.
  • Sie üben einen positiven Einfluss auf die Durchlässigkeit und Stabilität der Blutkapillaren aus, beugen Gefäßverkalkungen und Thrombosen vor.
  • Sie wirken als Tumorinhibitoren hemmend auf die Entwicklung bösartiger Erkrankungen – berühmte Beispiele sind die Katechine im Grüntee oder das Resveratrol in der Schale roter Weintrauben.
  • Sie entfalten hormonähnliche Wirkungen und wirken dadurch balancierend – Beispiele hierfür sind Isoflavone, Cumestane und Lignane.

Über die Nahrung und den Verzehr von Nahrungsergänzungen können wir unsere Gesundheit durch diese sekundären Pflanzenstoffe nachweislich unterstützen. Entscheidend für die Prävention sind Vielfalt und tägliche Abwechslung, der hohe Wert resultiert aus den vielfältigen Wechselbeziehungen und Synergismen der einzelnen Substanzgruppen.

Nahrungsergänzungen und die drei Säulen unserer Gesundheit

Ein ayurvedisches Sprichwort sagt: „Wenn die Ernährung unzuträglich ist, kann Medizin keine Wirkung erzielen. Wenn die Ernährung zuträglich ist, braucht man keine Medizin.“

Gesundheit entsteht durch eine konstitutions- und zustandsgerechte Ernährung und Lebensführung sowie mentale Balance. Pflanzliche Produkte können alle drei Säulen wirkungsvoll unterstützen, aber niemals ersetzen.

Nahrungsergänzungen als diätetisches Rezept

Wir alle kennen das: oft fehlt die Zeit zum hochwertigen Lebensmitteleinkauf im Bioladen oder auf dem Erzeugermarkt, zur liebevollen Zubereitung eines ayurvedischen Menüs, zum bewussten Verzehr in Ruhe und Selbstachtung. Stattdessen hasten wir in die Kantine, essen unterwegs aus der Tüte oder bereiten die schnelle Pasta mit Pesto zu.

In der Folge können Mangelzustände entstehen, Verdauung und Darmgesundheit beeinträchtigt werden, das Körpergewicht ansteigen und Stoffwechselstörungen belasten. Eines der häufigsten Probleme ist die ausgeprägte Müdigkeit, vor allem nach dem Essen.

Ayurvedische Nahrungsergänzungen wie Hingvashtaka, Triphala, Trikatu oder Chitrakadi Vati regen die Verdauungsdrüsen an, fördern die Bewegung des Speisebreis durch den Magen-Darm-Trakt und die Stuhlentleerung. Sie beugen Völlegefühl, Blähungen und Krämpfen vor und steigern unser Energieniveau.

Nahrungsergänzungen als Lifestyle Instrument

Die gesunde Lebensweise beginnt im Ayurveda bei der zuträglichen Tag-Nacht-Rhythmik. Viele Menschen schlafen zu kurz oder zu spät, arbeiten zu lang und legen tagsüber kaum Ruhepausen ein. Kurzum, die Spannungsregulation ist gestört, wir stehen auf dem Gaspedal und bremsen zu selten. In vielen Berufen sitzen Menschen 8-10 Stunden täglich an Schreibtischen vor Bildschirmen – und bewegen sich kaum. Ohne Ausgleichssport und das gezielte Training von Ausdauer, Kraft und Flexibilität können viele Krankheiten entstehen.

Meiner Erfahrung nach wirken ayurvedische Nahrungsergänzungen hier auf zweierlei Art: zum einen gleichen sie negative Auswirkungen eines oben beschriebenen Lebensstils symptomatisch aus, zum anderen stärken sie das Bewusstsein für eine gesunde Lebensweise. Wer dreimal täglich Pulvermischungen, Tabletten, Kapseln, Teeabkochungen oder Elixiere zu sich nimmt, denkt unweigerlich an seine Gesundheit.

Viele Menschen empfinden das Bedürfnis, ihren Körper (und Geist) zeitweilig von angesammelten Rückständen zu reinigen und zu befreien. Für unterschiedliche Detox-Programme in Heimdurchführung, ambulant durch eine Praxis betreut oder im Rahmen einer stationären Kur kommen hierbei zahlreiche Nahrungsergänzungen zum Einsatz.

Nahrungsergänzungen für mentale Balance

Im stetigen Kampf um Sicherheit, Ansehen und Erfolg bleiben viele Bedürfnisse auf der Strecke: wir vernachlässigen soziale Beziehungen, Konflikte in Familie und Partnerschaft entstehen und unsere Stressbewältigung wird herausgefordert. Chronifiziert dieser Zustand, verlieren wir den Kontakt zu unseren Werten und psychische Krankheiten wie Angststörungen oder Depressionen mit körperlichen Folgen können entstehen.

Eine wichtige Kraft, um in der Hektik des Alltags gesund und balanciert zu bleiben, ist die Anpassungsfähigkeit – im Ayurveda „Satmya“ genannt. Diese kann durch Nahrungsergänzungen aus der Gruppe der „Adaptogena“ unterstützt werden: prominente Beispiele sind Ashwagandha, Brahmi, Shankhapushpi und Guduchi.

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Wenn wir Nahrungsergänzungen als Unterstützung unserer gesunden Ernährung, bewussten Lebensführung und mentalen Balance anwenden, können diese ihre Wirkungen bestmöglich entfalten und stärken uns in dem Bestreben, jeden Tag ein wenig achtsamer mit unserem hohen Gut der Gesundheit umzugehen.

Mit den besten Grüßen aus Bad Homburg,

Ralph Steuernagel

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