Faszinierendes Organ: die Schilddrüse im Ayurveda

Die Schilddrüse fasziniert mich seit 25 Jahren wie kein zweites Organ. Sie ist so klein und zart wie ein Schmetterling und zugleich so bedeutsam für unsere Gesundheit. An ihr wird die gegenseitige Abhängigkeit von Geist und Körper deutlich, sie ist ein Gradmesser unserer inneren Balance. Unsere Fähigkeit zur Spannungsregulation und Stressbewältigung (Resilienz) wirkt sich direkt auf die Schilddrüse aus. Viele Funktionsstörungen und Organerkrankungen der Schilddrüse sind psychosomatisch bedingt – und lassen sich nur durch ganzheitliche Maßnahmen wieder regulieren oder kontrollieren. Die Ayurvedamedizin kann hierfür ein wertvoller Begleiter sein.

Schilddrüse: Laborwerte und Verfahren der westlichen Medizin müssen ayurvedisch interpretiert werden

Die Analyse der Schilddrüsenhormone im Blut ergänzt die ayurvedische Diagnostik und ersetzt sie nicht. In der westlichen Medizin wird häufig ausschließlich auf die Laborwerte und die darauf folgende Hormoneinstellung geachtet – das tatsächliche Befinden des Betroffenen gerät in den Hintergrund.

Durch eine Ultraschalluntersuchung kann das Organ in seinem Volumen und der Binnenstruktur beurteilt werden. Hier werden auch Knoten oder Zysten sichtbar, die zur weiteren Differenzierung in einem Szintigramm bewertet werden können. Alle bildgebenden Verfahren der westlichen Medizin müssen ayurvedisch interpretiert und in die Therapie eingeplant werden.

In der ayurvedischen Schilddrüsendiagnostik starten wir mit der detaillierten Aufnahme Ihrer subjektiv wahrgenommenen Beschwerden und Empfindungen und ordnen diese den drei Dosha Vata, Pitta und Kapha sowie Agni zu. Im nächsten Schritt prüfen wir, welche Gewebe in Mangel oder Überschuss geraten sind und wie die Energieproduktion aus Nahrung (Ojas), Licht (Tejas) und Atmung (Prana) funktioniert.

Das Stoffwechselorgan als Ausdruck von Agni und Dosha

Hauptaufgabe unserer schmetterlingsförmigen Hormondrüse am Hals ist die Stoffwechselregulation: Schilddrüsenhormone erhöhen den Grundumsatz (Energieverbrauch in Ruhe), die Körpertemperatur und den Abbau von Fetten und Glykogen (Kohlenhydratspeicher). Zudem sind die Schilddrüsenhormone T3 und T4 wichtig für die Herzarbeit, das Längenwachstum bei Kindern und die Gehirnreifung.

Aus ayurvedischer Sicht sind viele dieser Funktionen ein Ausdruck unseres Körperfeuers Agni, das im Magen-Darm-Trakt verdaut, Nährstoffe umwandelt und den Gewebestoffwechsel steuert. Steigt das Agni, arbeitet die Schilddrüse besser und umgekehrt. Agni lässt sich durch unsere Ernährung, Lebensweise und den Einsatz von Supplementen gezielt beeinflussen.

Agni steht zudem in direkter Verbindung zu den drei Kräften Vata, Pitta und Kapha, die auch als Dosha bezeichnet werden:

  • Ein geschwächtes Agni führt zur Steigerung von Kapha mit Symptomen wie Gewichtszunahme, Müdigkeit, Kälte und allgemeiner Verlangsamung. In der westlichen Medizin sind dies Zeichen einer Hypothyreose, der Schilddrüsenunterfunktion.
  • Ein übermäßig starkes Agni führt zur Steigerung von Pitta mit Symptomen wie Gewichtsabnahme, übermäßige Hitze und Schweißbildung, Durchfall und allgemeiner Beschleunigung. In der westlichen Medizin sprechen wir von einer Hyperthyreose, der Schilddrüsenüberfunktion.
  • Ein schwankendes Agni führt zur Steigerung von Vata mit Symptomen wie Gewichtsverlust, Herzrasen, Zittern, Unruhe und Nervosität, Schlafstörungen und Stimmungsschwankungen. Diese Symptome finden wir ebenfalls bei der Überfunktion, die somit als Vata-Pitta Störung eingestuft werden kann. Einige Vata Symptome sind auch bei Schilddrüsenunterfunktion präsent, hierzu zählen trockene Haut, Verstopfung, Heiserkeit, Haarausfall, Kälte, Infektanfälligkeit, Libidomangel und Unfruchtbarkeit.

Schilddrüse im Ayurveda – Ausdruck innerer Regulation

Aus ayurvedischer Sicht ist Alles mit Allem verbunden. Vom Großen zum Kleinen: Wir Menschen sind ein mikrokosmisches Abbild eines makrokosmischen Prinzips und stehen in direkter Verbindung zur Natur. Unser Leben ist ein Zusammenschluss von Körper, Sinnen, Geist und Seele. Unser Körper besteht aus Strukturen (Gewebe, Nebengewebe, Abfallstoffe, Leitbahnen) und Funktionen (Vata, Pitta, Kapha, Agni). Diese können erneut unterteilt werden. So gibt es fünf Unterarten von Vata, die sich alle gegenseitig beeinflussen. Verändern wir therapeutisch die Stuhlentleerung (Apana Vata), wirkt sich diese potenziell auf die Atemwege (Prana Vata) und die Herzfunktion (Vyana Vata) aus.

Das detaillierte Wissen um die wechselseitigen Abhängigkeiten ist in der Ayurvedamedizin diagnostisch und therapeutisch von herausragender Bedeutung. Aus diesem Grund behandeln wir niemals nur einzelne Symptome, sondern berücksichtigen bei allen eingeleiteten Maßnahmen die Auswirkungen auf den Gesamtorganismus.

An unserem Organ Schilddrüse wird diese faszinierende Fähigkeit der Selbstregulation sehr deutlich.

Die Freisetzung unserer Schilddrüsenhormone unterliegt einem intelligenten Regelkreis zwischen Hypothalamus, Hypophyse, Schilddrüse und Blut.

Der im Zwischenhirn liegende Hypothalamus ist das oberste Regulationszentrum für alle neurovegetativen und hormonellen Vorgänge im Körper. Über das Hormon TRH wird die Hirnanhangdrüse angeregt, TSH zu produzieren, das wiederum direkt die Schilddrüse zur Produktion von T3 und T4 anregt. Rezeptoren messen den T3/T4-Blutspiegel – steigt dieser an, wird im Sinne einer negativen Rückkopplung die Bildung von TRH und TSH gehemmt.

Hypothalamus und Hypophyse stehen auch mit der Nebenniere über die sogenannte HPA-Achse in Verbindung. Diese ist zentral an der Stresserfahrung über die Bildung der beiden wichtigsten Hormone Adrenalin und Cortisol beteiligt. Werden diese vermehrt gebildet, kommt es zu möglichen Auswirkungen auf die Schilddrüse (HPT-Achse).

Checkliste Schilddrüsengesundheit

Anhand folgender zehn Fragen können Sie überprüfen, ob eine mögliche Schilddrüsenstörung vorliegt.

  1. Empfinden Sie ein Druck- oder Engegefühl am Hals, haben Sie Schluckbeschwerden, Atemnot oder anhaltende Heiserkeit?
  2. Haben Sie in den letzten Monaten stark an Gewicht verloren oder zugelegt?
  3. Empfinden Sie ein ausgeprägtes Hitze- oder Kältegefühl?
  4. Fühlen Sie sich überdreht, angespannt, unruhig, nervös und hippelig?
  5. Fühlen Sie sich verlangsamt, träge, antriebsarm, müde und energielos?
  6. Leiden Sie unter Herzrasen, -stolpern oder -pochen? Ist Ihr Blutdruck erhöht oder erniedrigt?
  7. Können Sie schlecht ein- und durchschlafen oder sind Sie dauerschläfrig?
  8. Empfinden Sie Heißhunger und starken Durst oder mangelt es an beidem?
  9. Haben Sie durchfallartigen Stuhl oder sind Sie verstopft?
  10. Leiden Sie unter starken Ängsten oder depressiver Stimmungslage?

Je mehr Fragen Sie mit JA beantworten können, desto wahrscheinlicher liegt eine Schilddrüsenstörung vor. Lassen Sie im ersten Schritt Ihre Hormone T3, T4 und TSH im Blut bestimmen und suchen Sie einen erfahrenen Ayurvedamediziner auf. Gemäß den ersten Ergebnissen wird stufenweise weiter untersucht und die individuelle Therapie eingeleitet.

Prävention und Therapie mit Ayurveda

Unsere Schilddrüse liebt Ruhe, Gelassenheit, geregelten Rhythmus, ausgeglichene Bewegung und vitalstoffreiche Nahrung.

Hier meine Top Ten für eine gesunde Schilddrüse:

  1. Ohne Jod kein Schilddrüsenhormon: bei Jodmangel kommt es zur Vergrößerung (Struma) der Drüse, über Jahre kann ein knotiger Umbau entstehen. Anstelle synthetischen Jods in Tabletten oder Jodsalz empfehle ich den regelmäßigen Verzehr von Meeresalgen, die in Bioläden getrocknet oder eingelegt verfügbar sind. Algen sind die jodreichsten Lebensmittel und können von der Schilddrüse direkt zur Bildung von Hormonen verwendet werden. Wichtig: Liegt eine Überfunktion oder Autoimmunerkrankung der Schilddrüse vor, sollten Sie auf den Verzehr jodhaltiger Lebensmittel ohne Rücksprache mit Ihrem Therapeuten verzichten.
  2. Verzehren Sie täglich wechselnde Gemüse, Früchte und Nüsse (vor allem Paranüsse, Kürbiskerne, Walnüsse) – dies stellt eine gute Versorgung mit Zink und Selen sicher.
  3. Schränken Sie den Konsum koffeinhaltiger und alkoholischer Getränke sowie den Verzehr von Fleisch stark ein.
  4. Achten Sie auf einen geregelten nächtlichen Schlafrhythmus mit einer Dauer von 6-8 Stunden täglich gemäß Ihrer Konstitution. Verschieben Sie Ihren Rhythmus an freien Tagen um maximal 1-2 Stunden.
  5. Bewegen Sie sich täglich, wenn möglich an der frischen Luft. Die ausgeglichene Trainingskombination aus Ausdauer, Kraft und Flexibilität gleicht alle Dosha aus.
  6. Ihr Agni-Ojas-Cocktail am Morgen: Vermischen Sie 1 gehäuften TL Chyavanprash Amla Mus mit ½ TL Pippali (langer Pfeffer) und 250ml warmem Wasser (60°). Das regt Ihren Stoffwechsel an und reguliert das Immunsystem.
  7. Ihr Vata-Kapha-Tee am Abend: Mischen Sie 1 TL Ashwagandha (Withania somnifera) in 250ml Melissenblättertee mit 1 TL Sharkara Rohrzucker. Diese Mischung bereitet Sie auf einen optimalen Nachtschlaf vor.
  8. Führen Sie mehrmals täglich Atemübungen Atmen Sie hierzu ruhig und tief in einem Verhältnis von 4:5:1 Zähleinheiten (Einatmung : Ausatmung : Atempause). Auch die „Wechselatmung“ (Anuloma Viloma) und die „siegreiche Atmung“ (Ujjayi) wirken auf die Schilddrüse.
  9. Achten Sie darauf, belastende Gedanken, Gefühle, Erinnerungen und Empfindungen wahr- und anzunehmen, ohne sich mit ihnen zu identifizieren oder sie zu beeinflussen. Jeder Versuch einer Kontrolle führt zur Verstärkung und damit Belastung Ihres Nervensystems.
  10. Meditieren Sie täglich, bestenfalls morgens und abends – wenigstens 15 Minuten. Begeben Sie sich in die Dimension der Zeitlosigkeit vom Tun zum Sein. Die Auswirkungen auf den Hypothalamus und seine Wirkungsachsen wurden in zahlreichen Studien belegt.

Manifeste Schilddrüsenerkrankungen müssen zunächst professionell diagnostiziert und im weiteren Verlauf dokumentiert werden. Leiden Sie unter einer Fehlfunktion, Knotenbildung oder Autoimmunerkrankung der Schilddrüse, rate ich von einer Selbsttherapie dringend ab.

Die Ayurvedamedizin bietet hierfür ein großes Spektrum an ambulanten Therapie- und stationären Kurmaßnahmen zur Wiederherstellung einer gesunden Stoffwechsellage, Balancierung des vegetativen Nervensystems und Unterstützung eines stabilen Immunsystems an.

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