Kopfschmerzen im Ayurveda: Diagnostik und Therapie

Es pocht, es sticht, es drückt oder tut einfach nur weh. Ob Spannungskopfschmerz, Migräne oder Cluster Kopfschmerz – viele Betroffene sind ratlos, frustriert und fühlen sich in ihrer Lebensqualität stark eingeschränkt. Schmerzmittel wollen sie nicht ständig einnehmen, die Akupunktur half nicht nachhaltig und beim Gedanken an die nächste Injektion oder neurochirurgische Schmerzbehandlung sinkt die Laune in den Keller.

Nach einer im Januar 2017 durchgeführten Umfrage von Statista leiden in Deutschland 28% der Frauen und 18% der Männer mehrmals im Monat unter Kopfschmerzen. Als Hauptursachen werden von den Betroffenen Stress und Wetterumschwünge angegeben. Die Folgen: mehr Krankheitstage, mehr Schmerzmittel, gedrückte Stimmung.

Schmerzen haben Ursachen, denen die Ayurvedamedizin auf den Grund geht. Durch detaillierte Befragung und Untersuchung werden die beteiligten Funktionen und Strukturen analysiert. Die ganzheitliche Therapie ist höchst individualisiert und weicht von der häufigen „Mal schnell eine Ibuprofen oder Aspirin einwerfen“-Mentalität deutlich ab.

Vedana | Schmerz aus ayurvedischer Sicht

Im klassischen Ayurveda werden zehn Arten von Schmerz unterschieden. Die drei wichtigsten und übergeordneten Schmerzarten gehen von krankhaften Steigerungen der drei Dosha aus:

  • Shula (wörtlich „Stachel“) | durch Vata bedingt
  • Daha (wörtlich „Brennen“) | durch Pitta bedingt
  • Kandu (wörtlich „Juckreiz“) | durch Kapha bedingt

Kopfschmerzen werden im Ayurveda Shirahshula genannt und gehören zur Gruppe der Erkrankungen des Kopfes Shiroroga. Jedes der klassischen Kompendien unterteilte diese Gruppe unterschiedlich: Charaka unterschied fünf, Sushruta elf und Vagbhata zehn Arten.

Welches Dosha am Schmerzgeschehen vorrangig beteiligt ist, lässt sich aus den jeweiligen Merkmalen ableiten:

  • Vata bedingte Schmerzen sind stechend, schneidend, pochend und in ihrer Intensität am stärksten. Sie können mit verstärkten Bewegungen oder Bewegungsunfähigkeit einhergehen. Häufig betroffene Stellen sind die Schläfenregion und Augenbrauenmitte, oft gehen die Schmerzen auch von ausgeprägter Nackensteifigkeit aus und ziehen von dort nach oben.
  • Pitta bedingte Schmerzen sind brennend und werden von Hitzegefühlen, Durst und übermäßiger Schweißbildung begleitet. Es zeigen sich häufig Rötungen, manchmal sind auch Schwindelgefühle assoziiert. Ein weiteres Merkmal ist die häufige Beteiligung der Augen, die als wichtiger Sitz von Pitta angesehen werden.
  • Kapha bedingte Schmerzen sind dumpf und gehen mit Juckreiz, Kühle, Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Schwellung, Taubheit und Engegefühlen einher. Betroffene schildern das Gefühl, in einen nassen Lappen eingehüllt zu sein.

Sehr vereinfacht dargestellt werden Spannungskopfschmerzen vor allem Vata Dosha, Migräne vorrangig Pitta Dosha und durch Nasennebenhöhlenprobleme verursachte Kopfschmerzen Kapha Dosha zugeordnet. In der klinischen Praxis stellen wir allerdings meist Dosha-Kombinationen fest, die für Kopfschmerzen verantwortlich sind.

Aus diesem Grund ist bei starken oder chronischen Kopfschmerzen immer eine professionelle Diagnostik durch einen erfahrenen Ayurvedamediziner erforderlich. Nachfolgend gebe ich Ihnen einen Einblick in die diagnostische Methodik.

Ayurvedische Differentialdiagnostik von Schmerz

Um die Dosha Dominanz von Kopfschmerzen sicher zu ermitteln, fragt der erfahrene Ayurveda Diagnostiker in der Anamnese nach Modalitäten, die den Schmerz verstärken und verringern.

„Vata-Schmerzen“ sind trocken, beweglich und kalt.

Sie verstärken sich

  • nüchtern oder vor der nächsten Nahrungsaufnahme,
  • nachmittags, abends, nächtlich,
  • bei Dunkelheit,
  • bei kaltem Wetter, durch Wind, bei Wetterwechsel,
  • bei Jahreszeitenwechsel, im Herbst und Winter,
  • vor und zu Beginn der Menstruationsblutung, in den Wechseljahren,
  • bei Schlafmangel,
  • bei Nahrungskarenz,
  • nach körperlicher Anstrengung,
  • nach Ausleitungsverfahren,
  • bei unzureichender Stressbewältigung und
  • bei Ängsten, Kummer und Trauer.

„Vata-Schmerzen“ verringern sich

  • nach Nahrungsaufnahme,
  • vormittags, mittags, bei Tageslicht,
  • bei warmem Wetter, feuchter Wärme,
  • im Frühling und Sommer,
  • nach der Menstruationsblutung und rund um den Eisprung,
  • durch Wärme,
  • durch Ölungen,
  • durch angenehmen Druck auf die schmerzhaften Stellen,
  • durch Schlaf, Ruhe, Entspannung und
  • durch Tiefenatmung.

„Pitta-Schmerzen“ sind heiß und penetrierend.

Sie verstärken sich

  • zwischen den Mahlzeiten,
  • durch Alkohol,
  • durch saure, salzige und scharfe Lebensmittel,
  • mittags und um Mitternacht,
  • bei Lichtexposition, heißem Wetter, feuchter Hitze,
  • im Hochsommer und Frühherbst,
  • rund um die Ovulation, Menstruation und Wechseljahre,
  • bei Schlafmangel,
  • bei Nahrungskarenz,
  • bei körperlicher Anstrengung,
  • bei unzureichender Stressbewältigung und
  • bei Zorn, Ärger und Konflikten.

„Pitta-Schmerzen“ verringern sich

  • nach Nahrungsaufnahme,
  • durch Kälte, Berg- und Meeresklima,
  • im Winter und Frühling,
  • durch kühlende und süße Speisen,
  • durch kühle Umschläge,
  • durch Schlaf, Ruhe, Entspannung und Dunkelheit.

„Kapha-Schmerzen“ sind schwer, ölig, träge und schleimig.

Sie verstärken sich

  • nach den Mahlzeiten,
  • morgens,
  • nach langem Schlaf,
  • bei sitzendem Lebensstil,
  • bei übermäßigem Essen,
  • nach Konsum von süßen und feuchten Lebensmitteln,
  • bei kaltem und feuchtem Wetter,
  • im Winter und Frühling,
  • bei zu viel Ruhe, Trägheit und Antriebsarmut.

„Kapha-Schmerzen“ verringern sich

  • nüchtern und bei Reduktionsdiät,
  • bei trockener Hitze und Wind,
  • im Sommer und Herbst,
  • durch Bewegung, Dehnung, Dynamik und Sport,
  • durch trockene Massagen zur Durchblutungsanregung,
  • bei Motivation und zielgerichteter Tätigkeit.

Nach der Schmerzanamnese folgt die körperliche Untersuchung mit Pulspalpation, Zungeninspektion, Stimm-, Haut-, Augen- und Antlitzanalyse. Die Auswertung aller Ergebnisse führt zur Diagnose, die im Ayurveda immer ein Verständnis der Krankheitsentwicklung (Samprapti) darstellt. Darauf basierend wird nun ein maßgeschneiderter Therapieplan erstellt.

Ganzheitliche Ayurveda Therapie

Es gibt im Ayurveda keine Pille gegen Kopfschmerzen. Jede Therapie ist ein Abbild der Behandlungsstrategie, die wiederum auf der differenzierten Diagnostik aufbaut.

Folgende Therapiesäulen kommen grundlegend zum Einsatz:

  • Ernährungstherapie

Nach eingehender Analyse der Ernährungsgewohnheiten wird ein Ernährungsplan unter Berücksichtigung von Nahrungsmittelauswahl, Mahlzeitensystem, Zubereitungsarten, Mengen und Kombinationen erstellt.

  • Lebensstiländerung

Hier geht es vorrangig um die Optimierung von Schlafgewohnheiten, Atmung und Bewegung, Zeitgestaltung, Sinneseindrücken und Körperpflege.

  • Phytotherapie

Zur Behandlung von Kopfschmerzen stehen zahlreiche Nahrungsergänzungsmittel zur Verfügung, die gemäß der ayurvedischen Differentialdiagnostik ausgewählt werden.

  • Externe Therapie

Besonders die Kopfbehandlungen Shirodhara (Stirnölguss), Shirobasti (Kopfölung in einem Lederhut) und Shiropichu (Auflagen und Bandagen) zeigen beeindruckende Ergebnisse. Zusätzlich können Massagen (Abhyanga) und Kräuterstempelbehandlungen (Pindasveda) zum Einsatz kommen.

  • Ausleitungsverfahren

Bei Vata dominanten Kopfschmerzen werden Darmeinläufe (Basti), bei Pitta Dominanz Abführtherapien (Virechana) und bei Kapha Dominanz Magenspülungen (Vamana) verabreicht. In allen Fällen kommt die Intranasaltherapie (Shirovirechana) mit Ölen und Pulvern zum Einsatz.

  • Psychosomatische Therapie

Es lohnt sich, über den Tellerrand hinauszuschauen und die naheliegende Symbolik im übertragenen Sinne zu hinterfragen: Was bereitet mir Kopfschmerzen, was erzeugt diesen schmerzhaften Druck in meinen Leben? Häufig gehen Ängste und Depressionen mit Kopfschmerzen einher. Ayurvedische Psychosomatik ist erkenntnis- und verhaltensorientiert, achtsamkeitsbasiert und beinhaltet Werteanalysen, Bezugsrahmenänderungen, Maßnahmen zur Steigerung geistiger Fähigkeiten und Meditation.

Die schmerztherapeutischen Ergebnisse sind im Ayurveda vor allem nachhaltig und von wachsendem Verständnis für die ganzheitlichen Zusammenhänge zwischen Ursachen, Auslösern und Beschwerden gekennzeichnet. Diese Hilfe zur Selbsthilfe ermöglicht es Betroffenen, durch eine Änderung ihrer Denk- und Lebensgewohnheiten die Wurzel der Schmerzentwicklung zu entziehen und ein glückliches, sinnerfülltes Leben zu führen.

Mit den besten Wünschen für Ihre Gesundheit,

Ralph Steuernagel

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